Claudia Schumann
Vortrag IPPNW-Kongreß in Erlangen, 26.5.2001
"Hauptsache es ist gesund" –
das höre ich in meiner Praxis mehrmals täglich; spätestens beim Ultraschall, wenn ich das Geschlecht nicht sehen kann – kommt dieser Satz.
Hauptsache es ist gesund –das ist
So löst dieser Satz immer wieder zwiespältige Reaktionen bei mir aus. Und es ist nicht einfach, damit umzugehen im Praxis-Alltag. Soll ich jetzt reden über grundsätzliches, z.B. über das „Annehmen des Kindes so wie es ist“? Darüber, was wäre, wenn es krank wäre?
Ich bin den Veranstaltern dankbar, dass sie mir als Frauenärztin die Gelegenheit gegeben haben, an diesem Forum teilzunehmen – weil ich überzeugt bin, dass der frauenärztliche Blick bei diesem Thema nicht fehlen darf.
Ich habe keinen theoretischen Vortrag vorbereitet. Rede also nicht über die prinzipielle Problematik von PND, wie sie mir gerade noch mal intensiv gegenwärtig wurde beim Gang durch die Dresdner Ausstellung „Der (Im)Perfekte Mensch“. Nicht über Wert des Lebens, nicht über das Thema Selbstbestimmung, nicht über die Problematik des Risiko-zentrierten Blicks auf Schwangerschaft...
Ich berichte aus der Praxis.
In Absprache mit den anderen Vortragenden sehe ich meine Aufgabe heute hier darin,
Ich beginne mit 2 Fall-Vignetten aus meiner Praxis; beide haben mich nachhaltig beschäftigt und beeinflusst.
Frau B., 34J., Zahnarzthelferin, wird 1998 nach 2 J. unerfülltem Kinderwunsch spontan schwanger; in dieser Zeit war sie mehrfach mit ihrem Mann in meiner Praxis zur Beratung, erste Untersuchungen waren durchgeführt; vorausgegangen war ein Abbruch vor 4 Jahren, mit einem anderen Partner. Nach unauffälligem Schwangerschaftsverlauf entschließt sie sich nach ausführlicher Beratung und langem Überlegen für eine Fruchtwasser-Untersuchung, sie will auf keinen Fall ein behindertes Kind. Der Chromosomen-Befund wird zunächst als unauffällig beurteilt. Eine Woche später kommt gänzlich unerwartet ein Nachbefund: Ein fragliches Mosaik in einzelnen Chromosomen in der Langzeitkultur, das nicht erklärt werden könne. In der genetischen Beratung erfahren Frau B. und ihr Mann, dass keine genaue Aussage möglich sei: Das Kind könne völlig gesund sein – aber auch schwerst behindert ( blind + geistig behindert; V.a. cat-eye-syndrom, es gebe nur einige wenige Fälle in der Weltliteratur), „ Sie müssen entscheiden!“. Nach einer Woche Bedenkzeit, in der das Paar in Urlaub fährt, Entschluss zum Schwangerschaftsabbruch. Frau S. ist inzwischen in der 22. SSW; sie erlebt die Austreibung über 2 Tage als extrem traumatisierend. Obwohl das Team der Uni-Klinik vorher mit ihr alles abgesprochen habe, bekommt sie nicht wie gewünscht eine Narkose bei der Geburt. So sieht sie den kleinen toten schönen Jungen, und sagt mir später: „ Ich hätte schreien wollen, gebt ihn mir wieder zurück. Aber es war zu spät.“
Ich lasse beide Geschichten so stehen. Sie können, wenn Sie mögen phantasieren, wie das Leben dieser beiden Frauen weiter ging. Ich erzähle es am Schluss.
Und komme zu meinem Thema :
Zur üblichen Schwangeren-Beratung mit dem Auftrag „Hauptsache es ist gesund“. Die bindenden Mutterschafts- Richtlinien besagen:
Was gibt es an Untersuchungen?
Was müssen Frauenärzte gemäß Mutterschaftsrichtlinien konkret machen?
Und was machen sie?
Ich gehe kurz auf die drei wichtigsten Methoden ein, für einige zur Erinnerung, für andere zur Info:
Es gibt noch mehr, Chorionzotten-Biopsie, Nabelschnur-Punktion – ich belasse es dabei. Und bin sicher, Sie haben – jedenfalls wenn Sie nicht „vom Fach“ sind – Schwierigkeiten, sich das alles zu merken, bzw. etwas damit anzufangen.
Das alles müsste ich Ihnen zumuten, wenn Sie/ Ihre Partnerin schwanger zu mir kommen. Und schon sehr früh, wenn Sie gerade schwanger sind – denn Sie müssen ja noch Zeit haben zum Überlegen, bevor ich z.B. in der 11.SSW Ultraschall mache.
Oder nicht? Würden Sie lieber nichts wollen?
Aber was ist mit „ Hauptsache es ist gesund!“??
Wie machen das die Gynäkologen und -innen?
Nach meiner Erfahrung – Erhebungen gibt es dazu nicht – gibt es drei Gruppen; Sie unterscheiden sich in ihrer Einstellung zur PND, in der Art der Beziehungs-Ebene und der Verantwortungs-Übernahme. Ich nenne sie
Gruppe 1: Paternalistische Macher
Ärzte dieser Gruppe sind überzeugt vom Fortschritt für die Frauen im Zusammenhang mit PND. Sie sehen sich in der Pflicht für gesunde Kinder. Sie bemühen sich um Fortbildung, um noch früher + genauer Hinweise entdecken zu können, sind stolz auf ihr gutes US-Gerät, haben sich zusätzlich einen Doppler gekauft. Da sie davon ausgehen, dass alle verantwortlichen Frauen Pränataldiagnostik wollen, führen sie Nacken-Ultraschall und Triple-Test routinemäßig durch, oft ohne vorherige Info der Frau. Wenn etwas auffällig ist, teilen sie das mit mit der Information, sie hätten gleich für den nächsten Tag einen Termin zur weiteren Diagnostik ausgemacht.
Falls eine Frau jegliche PND von sich aus ablehnt, sind sie erstaunt bis verunsichert. Bei Frauen über 35 lassen sie sich die Ablehnung schriftlich bestätigen, oder appellieren an ihre „Verantwortlichkeit“.
Meiner Einschätzung nach ist das die anteilsmäßig größte Gruppe in meiner Berufsgruppe.
Gruppe 2: „Mütterliche Verweigerer“
Diese ÄrztInnen ( m.E. überwiegend weibliche) stehen insgesamt der PND kritisch gegenüber. Sie halten nichts vom Triple-Test und seinen unscharfen und oft nur beunruhigenden Ergebnissen. Sie bieten ihn einfach nicht an, um die Frauen davor zu bewahren.
Weil es vorgeschrieben ist, informieren sie über die AC ab 35 – sind aber erleichtert, wenn eine Frau das ablehnt. Genauso sind sie froh, wenn sie nie ein Nackenödem entdecken. Auch über diese Suchmöglichkeit informieren sie die Frauen nicht, oder nur peripher. Sie stehen auf der Seite der Frau, dass sie ihre Schwangerschaft möglichst ungestört und in einem sicheren Gefühl erleben kann.
Nach meiner Erfahrung überwiegt bei den Hebammen auch diese Einstellung.
Gruppe 3: Partnerschaftliche Berater„Auf der Suche nach dem informed consent“
Die ÄrztInnen dieser Gruppe haben auch eine eher kritische Haltung zu PND.
Sie sehen sich aber verpflichtet, die Frauen selbst soweit zu informieren, dass sie eine eigene Meinung für oder gegen PND entwickeln können. Oder zu entscheiden, dass sie nichts davon wissen wollen.
Das wollen/können sie ihnen nicht abnehmen.
Wenn Sie an meine Eingangs-Informationen zu den Möglichkeiten von PND sich erinnern, werden Sie mit mir übereinstimmen, dass das im Praxis-Alltag kaum befriedigend zu lösen ist.
Mir hilft dabei – denn ich verstehe mich zu letzten Gruppe zugehörig – eine Broschüre mit dem Titel „ Was will ich über mein ungeborenes Kind wissen?“ entwickelt von einer Hamburger Frauenärztin in enger Kooperation mit Beratungsstellen, Hebammen, Genetikern und Behindertenverbänden. Da geht es immer wieder darum, in was für Entscheidungssituationen eine Untersuchung bringen kann, bevor sie vorgestellt wird mit ihren Vor- und Nachteilen. Ich gebe sie als Vor-Info mit, biete dann ein Gespräch an, möglichst mit dem Partner.
Aber eine "gute Lösung" ist auch das nicht.
Ich habe Ihnen die drei typischen Vorgehensweisen vorgestellt, nicht, um die Arbeit der Frauenärzte zu kritisieren, zu diskriminieren, oder zu entschuldigen - sondern um daran klarzumachen:
So kann es nicht weiter gehen im Umgang mit PND, auch aus der Perspektive der Fachleute, die Schwangerschaften begleiten.
Die derzeitige Situation, die sich im Lauf der letzten 25 Jahre Stück für Stück „eingeschlichen“ hat, stellt eine Überforderung sowohl der Frauen, aber auch des Arztes/ der Ärztin dar.
Unter Zeitdruck und in einer Ausnahmesituation sollen grundsätzliche Fragen von Leben und Tod besprochen und entschieden werden.
Keiner der drei beschriebenen ärztlichen Wege ist meines Erachtens akzeptabel:
Einen wirklich guten Ausweg sehe ich derzeit nicht, sondern spüre Ratlosigkeit.
Für die Fachgruppe der FrauenärztInnen steht daher dringlich an, offen zu diskutieren, wie sehr die Pränataldiagnostik ungebeten und ohne offiziellen Beschluss Teil der Mutterschafts-Vorsorge geworden ist. Wir müssen fragen, ob wir diese Vermischung von kurativer Betreuung – denn das ist die normale Mu-Vorsoge - und selektionierender Diagnostik im Rahmen von PND wollen, ob das zu unserem Berufsbild so gehört. Oder ob wir das nicht benennen und ablehnen sollten.
In diesem Zusammenhang finde ich eine Idee sehr bedenkenswert:
Nämlich grundlegend den Behandlungsauftrag zu klären zwischen Schwangerer und Ärztin.
Dann bedeutete der Auftrag „Hauptsache es ist gesund“:
Alles zu machen, präventiv und kurativ, damit diese Schwangerschaft sicher und gefahrlos für Mutter und Kind sich entwickeln kann.
Für den Auftrag „Ich will kein von der Anlage her behindertes Kind bekommen“ müsste ein getrennter anderer Behandlungsauftrag bewusst geschlossen werden, evtl. mit anderen Personen.
Wie das umzusetzen ist, ob das juristisch geht etc. wäre zu klären
Ich denke, dass eine solche Veränderung aber auf jeden Fall das Problem PND öffentlich präsenter machen würde.
Zum Abschluss wie angekündigt die Fortsetzung der beiden Fall-Vignetten.
Haben Sie überlegt, wie es den Frauen weiter ging?
Was Sie gemacht hätten an Ihrer Stelle ?
Wieder schwanger werden? Und dann?
Frau A., die sich zum Fetozid und Spät-Abort ihres Kindes mit Trisomie 21 entschlossen hatte, hat nie erkennen lassen, dass sie psychische Betreuung danach brauche. Sie hat das mit sich abgemacht. (Ich in meiner Balintgruppe).
Sie wurde zu ihrem und meinem Erstaunen danach noch 2mal in kurzem Abstand schwanger, hat ohne jedes Zögern jeweils eine AC durchführen lassen, und ist jetzt glückliche Mutter zweier gesunder Kinder.
Aus ihrer Sicht war PND ein Segen.
Frau B. hat lange mit Schuldgefühlen gekämpft und Vorwürfe gemacht – sich, den Beratern, der Uniklinik. Sie kam danach zu einigen Beratungsgesprächen in meine Praxis. Sie wollte gleich wieder schwanger werden, war verzweifelt, weil es nicht klappte. Sie bekam Zyklusstörungen, beim Ehepartner war das Spermiogramm nicht in Ordnung. Er wollte keine invasive Behandlung, am liebsten gar nicht mehr über Kinder reden. Worunter sie doppelt litt. Nach weiteren zwei Jahren trat dann doch spontan eine Schwangerschaft ein, die Frau S. allerdings in einer anderen Praxis hat betreuen lassen. Frau S., inzwischen 37Jahre alt, hat jegliche PND in dieser Schwangerschaft abgelehnt, und hat inzwischen ein gesundes Kind geboren.
Sie empfand PND als Fluch.
Öffentliche Diskussion notwendig!
Von einer Tatsache müssen wir ausgehen: Im Gegensatz zur PID, die hoffentlich noch in Deutschland aufgehalten werden kann, ist die PND mit all´ ihren Methoden Realität für Schwangere; diese Entwicklung lässt sich nicht mehr zurückdrehen. Sie ist innerhalb von 25 Jahren von einer Spezial-Untersuchung für wenige zu einem inoffiziellen Routine-Screening-Programm für nahezu alle Schwangeren geworden. Da hat die Macht des Faktischen die ethische Diskussion überholt. Was uns eine Lehre sein sollte bei der Diskussion um PID, und um die Frage der Begrenzung von PID.
Aber gerade jetzt, im Rahmen der neuen Diskussion um PID, besteht eine Chance, PND erneut öffentlich zu diskutieren. Ich denke, da sollten auch die Frauenärztinnen und Ärzte ihren Teil dazu beitragen, indem sie die Überforderung in ihrer Praxis ernstnehmen und zusammen mit anderen nach neuen Wegen suchen.