Veränderungen in der gynäkologischen Praxis durch Pränataldiagnostik

Claudia Schumann
Veröffentlicht im BZgA FORUM Sexualaufklärung und Familienplanung 1/2007

Krankes Kind - Schicksal oder vermeidbar?

"Hauptsache es ist gesund" - das war schon immer ein Herzenswunsch werdender Eltern. Ein Wunsch, dessen Erfüllung lange Zeit kaum direkt beeinflussbar war. "Essen für zwei" - damit meinten viele dem Kind etwas Gutes tun zu können. Gefahren versuchte man abzuwenden mithilfe unterschiedlichster überlieferter Regeln: So sollten Schwangere "keine Wäsche aufhängen, damit sich die Nabelschnur nicht verknotet", und "nicht zur Beerdigung gehen, damit das Kind keinen Schaden nimmt". Wie das Kind sein würde, war bis zur Geburt ein Geheimnis. Wenn ein Kind krank geboren wurde oder schon im Mutterleib starb, musste das als Schicksal angenommen werden.
Heute ist es anders. Wir kennen die kindliche Entwicklung und können das Ungeborene durch Ultraschall sichtbar machen. Manche Erkrankung lässt sich früh entdecken, manche Gefährdung lässt sich durch rechtzeitiges Eingreifen verringern. Schwangere gehen regelmäßig zur Vorsorge und lassen sich beraten über richtiges Verhalten, um sicher zu sein dass alles gut wird.
Das scheint die alten Rituale zur Gefahrenabwendung abgelöst zu haben. Viel mehr als in alten Zeiten scheint es so heute von der Frau selbst abzuhängen, ob das Kind gesund sein wird. Die werdende Mutter kann sich aber nicht nur Informationen über seine Entwicklung und die Erbausstattung geben lassen und dadurch mehr Sicherheit bekommen. Neu ist: Bei schweren Auffälligkeiten kann sie entscheiden, ob sie sich zutraut ein behindertes Kind auszutragen oder ob sie dieses Kind nicht bekommen kann und will.
Pränataldiagnostik (PND) hat so aus der Zeit des geduldigen Wartens eine Zeit der aktiven Einflussnahme und Entscheidungen gemacht. Aus dem schicksalhaften Annehmen des Kindes, so wie es ist, wurde das Angebot, mithilfe von PND Einfluss zu nehmen und sogar ein Kind abzulehnen, wenn schon vor der Geburt schwerste Schäden erkenntlich sind.
Unbestritten ist: Unser größeres Wissen um die Schwangerschaft mit den Möglichkeiten von gezielter Diagnostik und Therapie hat ganz entscheidende Vorteile gebracht für die Sicherheit von Müttern und Kindern. Aber die neuen Techniken können auch neue Belastungen bedeuten für Betreute und Betreuende.

Der Chance auf mehr Sicherheit soll in diesem Beitrag die neue Verunsicherung gegenüber gestellt werden und die Zumutung, für die Gesundheit des ungeborenen Kindes zuständig oder sogar verantwortlich zu sein.

Pränataldiagnostik hat die Schwangerschaftsbetreuung verändert

Wörtlich übersetzt bedeutet Prä-Natal-Diagnostik "Untersuchung vor der Geburt". Üblicherweise versteht man darunter alle gezielten Untersuchungen zur Feststellung bzw. zum Ausschluss von Fehlbildungen bzw. Chromosomenabweichungen des Kindes: Ultraschall, Fruchtwasseruntersuchung und spezielle Blutuntersuchungen.
"Die pränatale genetische Diagnostik verhilft im Wesentlichen zur Geburt von gesunden Kindern", so wird das weit akzeptierte Ziel in einem der üblichen Info-Flyer definiert, erst im Nebensatz wird ausgeführt …"indem Kinder mit schweren körperlichen oder geistigen Störungen frühzeitig erkannt werden, womit auch ein Abbruch der Schwangerschaft möglich wird".

Seit Beginn der PND in den 70er Jahren ist eine rasante Entwicklung zu beobachten. Es begann mit der Fruchtwasseruntersuchung, mit deren Hilfe man die kindlichen Chromosomen untersuchen kann. Sie wurde anfangs gezielt nur bei älteren Schwangeren eingesetzt, bei denen ein erhöhtes Risiko für eine Chromosomenveränderung besteht, um ihnen die Angst zu nehmen, ihr Kind könnte behindert sein.
In den 80er Jahren kam der Ultraschall (US) dazu, der Licht in die "Blackbox" des Ungeborenen brachte und sich zunehmend zur wichtigsten ärztlichen Informationsquelle und zum beliebten "Baby-Fernsehen" entwickelte. Um den Einsatz zu systematisieren sind seit 1995 laut Mutterschaftsrichtlinien drei US-Untersuchungen als Standard festgelegt, die zur Überwachung der normalen Schwangerschaft, aber auch in der 20.Woche als "Organ-Ultraschall" explizit zum Erkennen von Fehlbildungen gedacht sind.

Die Zielrichtung der Pränataldiagnostik änderte sich so entscheidend und weithin undiskutiert: Es ging nicht mehr darum, einer kleinen Gruppe von Schwangeren die Angst vor einem behinderten Kind zu nehmen und sie damit zum Austragen einer Schwangerschaft zu ermutigen, sondern darum, möglichst bei allen Schwangeren alle Kinder mit "Auffälligkeiten" zu entdecken. Der sogenannte Tripletest, eingeführt in den 90er Jahren, markiert diesen Dammbruch hin zur "Risikoberechnung". Inzwischen kann man mithilfe von Bluttests und Ultraschall-Markern schon am Ende des dritten Monats die Wahrscheinlichkeit berechnen, mit der eine Schwangere ein Kind mit einer Chromosomenveränderung erwartet. Dem propagierten Vorteil, dass die Tests ungefährlich sind im Gegensatz zur Fruchtwasserpunktion und so manche Punktion ersetzen, die früher aufgrund des mütterlichen Alters gemacht worden wäre, steht der Nachteil gegenüber, dass sie keine genaue Aussage erlauben und zu vielen Folgeuntersuchungen führen. Wie viele Schwangere eine Risikoabschätzung machen lassen, obwohl sie nicht in den Mutterschaftsrichtlinien vorgeschrieben und keine Kassenleistung ist, ist nicht erfasst. Nachdenklich macht aber, dass die Zahl der FW-Punktionen in der Folge auf ca. 70.000/ Jahr stieg, das sind 10 % der Schwangeren!

Insgesamt gehört PND heute zur Routine in der Schwangerschaftsbetreuung, das "Screening" zum Ausschluss von Auffälligkeiten ist Alltag und wird von den meisten Schwangeren akzeptiert. Umso erstaunlicher ist das Ergebnis einer aktuellen Befragung von Schwangeren, "dass etwa die Hälfte der befragten Frauen …. den Begriff Pränataldiagnostik entweder überhaupt nicht kennen oder etwas Falsches darunter verstehen" (BZgA 2006, S. 38). Erklären lässt sich das aus meiner Sicht zum einen durch eine Abwehr gegenüber diesem "dunklen" und heiklen Thema, die ebenfalls konstatiert wurde, aber vor allem durch die komplizierte Problematik.

Informierte Entscheidung nach umfassender Aufklärung - machbar?

Stimmen zu PND aus meiner Praxis:
"Ich will erstmal nur diesen Nacken-Ultraschall, auch wenn der was kostet - wenn der in Ordnung ist, reicht mir das." (A.W., 27J., 11.Woche)
"Auch wenn das schlimm klingt - aber ein behindertes Kind will ich nicht". (S.J., 24 J., 10.Woche)
"Wenn etwas ist - ob ich dann später nach der Geburt nicht doch bereue, dass ich nicht mehr Untersuchungen gemacht habe?" (R.D., 38J., 30.Woche)
"Wir nehmen es so wie es ist - es wird schon alles in Ordnung sein, bei uns in der Familie war nie etwas." (E.K.,33J., 12.Woche)
"Mein Mann sagt, ein behindertes Kind will er nicht - aber für mich als Frau ist das nicht so einfach, ich trage das Kind schon unterm Herzen und soll vielleicht entscheiden, wenn etwas nicht in Ordnung ist ..." (S.W.,36 J., 16.Woche)

Pränataldiagnostik beginnt mit dem ersten Ultraschall in der 10.-12. Woche, wenn die Umrisse des Fetus und eventuell auch Auffälligkeiten wie eine verdickte Nackenfalte erkennbar sind. Wenn die Frau vorher informiert sein und eine Bedenkzeit haben soll, um sich zusammen mit dem Partner entscheiden zu können, muss die Aufklärung über PND schon in der 8./9. Woche stattfinden. Da weiß die Frau gerade von ihrer Schwangerschaft, sie schwankt vielleicht noch zwischen Freude und Sorge, sie kämpft mit Müdigkeit und Übelkeit. Sie will wissen, wann das Kind kommen wird, was sie beachten muss und was sie essen darf, und wann es der Arbeitgeber erfahren muss. Aus ärztlicher Sicht geht es außerdem um die Erhebung der Vorgeschichte und eventueller Vorerkrankungen in der Familie, und natürlich müssen auch weitere Betreuung, Mutterpass, Ultraschall und Blutuntersuchungen erläutert werden.

Und dann beginnt die "Risikoberatung": Ich erläutere, dass zwar die große Mehrzahl aller Kinder gesund geboren wird, dass aber bei 2 - 4% der Neugeborenen geistige und/oder körperliche Behinderungen festgestellt werden, die zum Teil schon in der Schwangerschaft zu erkennen aber nicht veränderbar sind, wie zum Beispiel der offene Rücken oder eine Trisomie. Ich frage die Frau, ob sie wissen möchte, wenn ihr Kind so etwas hätte, ob das für sie Konsequenzen hätte. Manche brechen schon hier ab, sie wollen nie in eine solche Situation kommen, "einen Abbruch könnte ich mir nicht vorstellen." Entsprechend endet das Gespräch schnell - aber das ist die große Ausnahme. Die meisten Schwangeren wollen wissen, wie hoch in ihrem Alter das Risiko für welche Erkrankung überhaupt ist, was man mit dem Ersttrimester-Screening, dem normalem Ultraschall und dem Tripletest feststellen kann und was eine Risikoberechnung aussagt, was ein Nackenödem bedeutet. Ich versuche zu erklären, dass das ein Hinweis auf eine Chromosomenveränderung sein kann aber auch bei normalen Kindern manchmal zu sehen ist, manchmal werde auch "nur" ein Herzfehler entdeckt, dass man bei erhöhtem Risiko zur weiteren Klärung eine Fruchtwasseruntersuchung machen kann, wie das gemacht wird, dass in ca. 1% durch den Eingriff eine Fehlgeburt ausgelöst werde, dass vielleicht am Ende, wenn tatsächlich eine Behinderung festgestellt wird, sie sich als Frau selbst fragen muss, ob das so schlimm ist, dass ein Abbruch der Schwangerschaft die einzige Lösung wäre, oder ob das Leben mit einem behinderten Kind für sie denkbar ist, ob sie darüber mehr wissen möchte - denn eigentlich müsse sie sich die Frage schon jetzt stellen, vor dem ersten Ultraschall, denn dann könne schon ein Nackenödem zu sehen sein, und das hätte dann eventuell weitere Untersuchungen zur Folge. Zur Aufklärung gehört letztlich auch die Information über den Ablauf eines eventuellen Abbruches der Schwangerschaft, dann seien oft schon die Bewegungen des Kindes spürbar, ein Abbruch wäre schmerzhaft wie eine erzwungene Geburt und könne sich über Tage hinziehen.
Wer beim Lesen den Faden verloren hat - kein Wunder! Es mag verdeutlichen, dass man PND auch beim besten Willen kaum in der ganzen Fülle verständlich erklären und dann erwarten kann, eine Schwangere könne wirklich eine "informierte Entscheidung" fällen. Es wird nachvollziehbar, auch wenn es natürlich nicht zu rechtfertigen ist, dass viele Frauen bei Befragungen angeben, nur unzureichend über PND und die Folgen aufgeklärt worden zu sein. Und dass viele Frauen von ihrem Arzt oder ihrer Ärztin eine Entscheidungshilfe erhoffen: "Was machen denn die meisten?" und "Was würden Sie denn raten?"
Wenn viele Frauenärzte und -ärztinnen laut BZgA-Studie eher für Pränataldiagnostik plädieren, dient das sicher zum einen der eigenen Absicherung, trifft aber auch auf die Bereitschaft vieler Schwangerer, "um mir später mal nicht vorwerfen zu müssen, ich hätte nicht alles gemacht". Gleichzeitig kann es Schwangere erleichtern, die Entscheidung auf ihre Ärzte/ Ärztinnen zu delegieren.

Hilft psychosoziale Beratung vor PND weiter?

Weil viele Schwangere unzufrieden sind mit der Aufklärung vor PND in der ärztlichen Praxis und angeben, in die Untersuchungen "reingeschliddert" zu sein, wird nach Alternativen gesucht. Eine Lösungsmöglichkeit scheint die zusätzliche psychosoziale Beratung, um eine qualifizierte Entscheidungshilfe außerhalb des "medizinischen Apparats" zu erhalten.
Ich halte das prinzipiell für sinnvoll und sehe darin eine Chance für die Frauen und auch eine Entlastung der gynäkologischen Praxis, sehe aber auch Probleme auf unterschiedlichen Ebenen. Nicht nur dass es zeitlich eng ist, vor der 10. Woche einen Termin zu realisieren, und dass viele Schwangere erst überzeugt werden müssten, dass sie für ein aus ihrer Sicht medizinisches Problem - die Gesundheit ihres Babys - zu einer Beratungsstelle sollen: Die ganze Wucht des Entscheidungszwangs, die mit PND verbunden ist, wird für werdende Eltern dadurch sicher noch präsenter. Wenn man nicht darauf setzen will, dass psychosoziale Beratung ein Damm gegen Pränataldiagnostik sein soll, muss die Frage erlaubt sein: Verschärft sich nicht möglicherweise dadurch der Druck auf die Schwangeren, sich richtig zu entscheiden in einer Situation, in der es für viele kein richtig oder falsch gibt? Oder anders und durchaus provokativ gesagt: Ist es nicht auch eine Chance für manche, nur im Groben zu wissen was PND ist, um sich am Ende, wenn sich tatsächlich die Frage Abbruch oder Austragen stellt, mehr als schlecht informiertes Opfer denn als Täterin von Anfang an zu fühlen?

Entscheidung für oder gegen PND?

Der Umgang mit PND wird sich unterschiedlich auf die Schwangere und den Verlauf der Schwangerschaft auswirken, je nachdem wie viel die Frau von ihrem Kind wissen will. Besonders beim Ultraschall wird allerdings der Januskopf der PND erkennbar: Vielen Kindern kommt zu gute, dass man die zeitgerechte Entwicklung beobachten und Auffälligkeiten feststellen kann, die eine besondere Betreuung vor oder während der Geburt ermöglichen. Mit demselben Ultraschall können aber auch Dinge gesehen werden, die nicht behandelbar sind, wie offener Rücken oder Fehlbildungen des Gehirns, und die oft zum Abbruch führen: Das ist die hässliche Kehrseite von PND. Weil es keine Abgrenzung zwischen "gutem" und "schlechtem" Ultraschall gibt, ist die Entscheidung für oder gegen PND so schwierig.

Votum gegen PND

Die Frauen, die sich von vornherein für ihr "Recht auf Nichtwissen" und gegen PND, auch gegen Ultraschall, entscheiden, wollen die "Zeit der guten Hoffnung" genießen ohne jegliche Testerei. In meiner Praxis sind es nur wenige Frauen, sie wollen ihr Kind annehmen ohne Wenn und Aber, und natürlich hoffen auch sie, dass es gesund sein wird. Manche bekommen in der Schwangerschaft immer wieder mal ein flaues Gefühl, wenn jemand sie auf PND anspricht, zumal sie ahnen: Wer keine PND macht und dann ein behindertes Kind bekommt, kann zu hören bekommen: "So etwas muss es doch heute nicht mehr geben."

Absicherung und Verunsicherung durch PND

Die Mehrzahl der Frauen wünscht sich zumindest Ultraschall, ca. die Hälfte auch die Bluttests, alles in der Hoffnung eine Bestätigung zu bekommen, dass alles in Ordnung ist. Oft drängen besonders die Partner auf die Absicherung. Trotzdem bedeutet die bewusste Entscheidung für PND eine Belastung, viele empfinden es als Schwangerschaft auf Probe.
Dem widerspricht nicht, dass die meisten Frauen im Nachhinein mit PND sehr zufrieden sind (BZgA S.42). Die große Mehrzahl bekommt ja schnell die Bestätigung, dass alles normal ist, und ist erleichtert. Und gerade Ultraschall genießen die werdenden Eltern, Fotos für das Album oder Videomitschnitte sind gefragt.
Manchmal gibt es allerdings eine längere Phase der Unsicherheit: Das Testergebnis kann z.B. ein erhöhtes Risiko für eine Trisomie zeigen, oder im Ultraschall sind Auffälligkeiten sichtbar, d.h. es könnte etwas nicht in Ordnung sein. Die Angst steigt, meist sind weitere Untersuchungen die Folge, eventuell eine Chromosomenanalyse aus dem Fruchtwasser. Der Faden, an dem das "Damoklesschwert: Behinderung" über der Schwangerschaft hängt, droht zu zerreißen. Ist das Kind tatsächlich krank - und was, wenn ja?
Meist lässt sich der Anfangsverdacht als unberechtigt klären, die Aufregung war umsonst. Darüber, was eine längere Zeit der Beunruhigung zwischen Untersuchung und Resultat ausmacht auch mit Blick auf die spätere kindliche Entwicklung, weiß man noch wenig. Eine französische Untersuchung (Soubieux 2005) fand Veränderungen im Erleben der Schwangerschaft, wenn das Frühscreening auffällig war und dann trotzdem letztlich "nichts" gefunden wurde: Frauen "spüren" ihr Kind weniger in der Schwangerschaft, die Geburten sind protrahiert, die Mütter bleiben überbesorgt und wittern dauernd, dass doch noch irgendeine "Macke" auftaucht.

Es stimmt etwas nicht - was dann?

Am Ende der diagnostischen Kette bleibt eine kleine Zahl von werdenden Eltern, denen mitgeteilt wird: Ihr Kind wird eine Behinderung oder eine Krankheit haben.
Wie schwerwiegend das ist, ob die Fehlbildung wesentliche Konsequenzen haben wird, ob eine sinnvolle Behandlung möglich ist, ob und wie stark es geistig behindert sein, das lässt sich nie völlig eindeutig vorhersagen. Ist ein Kind mit Trisomie 21 "krank" - oder nur "anders"? Die Eltern sind gezwungen, sich damit auseinandersetzen. In dieser Situation erscheint den weitaus meisten Frauen ein möglichst schneller Abbruch der Schwangerschaft der einzige Ausweg (Rohde/Woopen 2006, S.24). Der ist rechtlich nur möglich über die medizinische Indikation (§128a Abs.2), mit der zeitlich unbegrenzt eine Schwangerschaft beendet werden kann um so "die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann." Zwar wird die Indikation von einem Arzt/einer Ärztin gestellt, aber die Schwangere selbst muss die Bewertung treffen, dass die Geburt dieses kranken oder geistig behinderten Kindes für sie nicht aushaltbar ist.

Eine aktuelle Studie bestätigte die Erfahrung, "dass sich Frauen nach Mitteilung einer fetalen Pathologie nicht selten in einem Ausnahmezustand befinden, den man auch als "Schockzustand" bezeichnen kann." (Rohde/Woopen 2006, S. 134) Viele beschreiben das als "unmögliche Entscheidung" (Friedrich 1998). Hier ist eine begleitende psychosoziale Beratung extrem wichtig, die derzeit nur selten wahrgenommen wird. Das unterstützt die Forderung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe und der Bundesärztekammer, dass auch bei diesen späten Abbrüchen eine Beratung und eine Bedenkzeit gesetzlich vorgeschrieben werden sollten, um die Entscheidung zumindest besser reflektieren und verarbeiten zu können.

Wie hat PND die frauenärztliche Arbeit verändert?

"Die Schwangeren - das war das erste, was mein Seniorpartner abgegeben hat, als ich in die Praxis einstieg", erzählt eine junge Kollegin. Gut für mich nachvollziehbar, denn mit PND ist der Druck, alles zu sehen und richtig zu machen, für uns Frauenärzte und -ärztinnen spürbar gewachsen. Die DGGG (Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe) konstatiert in ihrem Positionspapier 2003 sogar einen zunehmenden "Anspruch auf ein gesundes Kind" und betont das "ethische Dilemna der Pränatalmedizin" und die damit verbundene Aufgabe der Frauenärzte. Allerdings wird die zeitaufwändige Beratung zu PND nicht extra vergütet, sondern ist Teil der niedrig bemessenen Schwangerschaftspauschale. Ein Unding, wenn man sich die Komplexität klarmacht und realisiert, dass z.B. die Beratung vor einer Früherkennungs-Darmspiegelung gesondert vergütet wird.
In den 70er Jahren, zur Zeit meiner Klinikausbildung, sah man im Ultraschall nur schemenhafte Umrisse und war schon froh, wenn man Zwillinge sicher vor der Geburt entdeckt hatte. Die technische Qualität der Geräte und die Beurteilungsmöglichkeiten der fetalen Anatomie haben sich in einem atemberaubenden Tempo entwickelt. Beides immer wieder auf den aktuellsten Stand zu bringen ist in der normalen frauenärztlichen Praxis extrem schwierig.
So entsteht für mich ein Zwiespalt: Zum einen habe ich als Ärztin den Anspruch, eine Schwangerschaft nicht unnötig zum "Risiko" zu definieren, indem ich die Frau routinemäßig in eine Spezial-Ultraschall-Ambulanz überweise. Zum andern trage ich damit die Verantwortung, dass zumindest keine gröberen Fehlbildungen vorliegen und die Entwicklung normal verläuft. Haftungsrechtliche Aspekte, bekannt unter dem Schlagwort "Kind als Schaden" (Riedel 2003), wirken sich verunsichernd aus.
Insgesamt geht vielerorts der Trend dahin, alle Schwangeren für die ausführlichen Ultraschalluntersuchungen gleich in eine Spezial-Praxis zu schicken, zumal damit auch der juristische Druck wegfällt. Dort wird zunehmend mehr immer früher gesehen, und dieses viele Sehen wird immer mehr als "normal" angenommen und in der Folge auch von vielen Schwangeren eingefordert. Frauen sind bereit, dafür Geld zu zahlen - eine durchaus gefährliche Verlockung für manche gynäkologische Praxis, das PND-Angebot offensiv auszuweiten.

Tabu später Schwangerschaftsabbruch - Selbstbestimmung der Frau oder Zumutung?

An der Entscheidung für oder gegen Pränataldiagnostik kommt heute keine schwangere Frau vorbei. Ob das im Einzelfall für sie eine Chance oder eine Belastung bedeutet, mag sehr unterschiedlich sein.
Es wäre aber zu kurz gegriffen, die Diskussion auf der individuellen Ebene zu belassen und nicht die gesellschaftliche Dimension zu betrachten.
PND hat sich in den letzten 30 Jahren zunehmend von einer Spezial-Untersuchung für wenige zu einem Screening-Instrument für alle entwickelt, dessen mögliche Konsequenz - die Tötung eines gewünschten aber kranken Kindes - als Damoklesschwert über allen Schwangerschaften hängt. Die "Unmöglichkeit der Beratung" hat neben der Komplexität der PND vor allem mit dem Tabu zu tun, das einen möglichen späten Abbruch aufgrund kindlicher Behinderung umgibt.
Ich finde es auffällig: Während über die Kraft einer Patientenverfügung viel diskutiert wird und es eine breite öffentliche Debatte zum Wert des Lebens an seinem Ende gibt, mit einer klaren gesellschaftlichen Position gegen aktive Sterbehilfe auch bei schwerster Erkrankung, gibt es wenig Diskussion über den Wert von krankem/behinderten Leben an seinem Anfang und ob vor der Geburt darüber verfügt werden darf. Stattdessen wird der einzelnen Schwangeren unter dem Titel "Selbstbestimmung nach informierter Entscheidung" zugemutet, sich für oder gegen Pränataldiagnostik zu entscheiden und damit in die Bewertung einzusteigen.
Aber ist das Selbstbestimmung, wenn PND die Regel und nicht die Ausnahme ist? Ist es Selbstbestimmung, bei Trisomie 21 einen Abbruch zu wünschen - oder ist das nicht nur die Konsequenz aus dem Angebot, das Frauen vorher durch PND bekommen, eine Zumutung, die von ihr gesellschaftlich erwartet wird? Haben wir nicht tatsächlich inzwischen eine "Allianz zur Selektion", nie so ausgesprochen, das Wort ist zu sehr negativ besetzt, aber gesellschaftlich toleriert und von den Ärzten und Ärztinnen umgesetzt? Bei der jeder nur verantwortungsvoll seine Arbeit tut und keiner schuld ist - verantwortlich ist am Ende nur die Frau selbst?

Es greift auch zu kurz, das Problem im späten Abbruch zu sehen und auf frühere Untersuchung zu setzen. Im Gegenteil: Wenn tatsächlich der Bluttest in der 8.Woche kommt, mit dem man im mütterlichen Blut kindliche Zellen untersuchen und ungefährlich, früh und sicher jede Chromosomenanomalie finden kann - welche Frau wollte sich dem Angebot entziehen und der damit verbundenen "Chance", die Schwangerschaft früh abzubrechen und damit ungeschehen zu machen? Wird die Last für die Schwangere dadurch kleiner? Wir hätten durchgescreente Neugeborene, keine Kinder mehr mit Trisomie - wollen wir das tatsächlich?

Positiver Wertewandel nur durch offensive öffentliche Diskussion

Die Entwicklung lässt sich nicht zurückdrehen, PND ist als Angebot auf dem Markt.
So wichtig es daher bleibt, gute Information und psychosoziale Beratung zu fordern und vor allem mehr selbstverständliche finanzielle und emotionale Unterstützung für Frauen, sodass die Entscheidung gegen PND oder für ein behindertes Kind nicht auf mitleidiges Erstaunen stößt - das reicht nicht. Denn das Problem PND geht weit über die individuelle Ebene hinaus.
Die Forderung muss dahin gehen, endlich den Diskurs aufzunehmen, dem die technische Entwicklung vorausgeeilt ist. "Der Zusammenhang zwischen kultureller Wertschätzung von Menschen mit Behinderung und Praxis der Pränataldiagnostik muss offensiv öffentlich problematisiert werden" (Graumann 2006). Wir alle müssen nach Lösungen suchen, wie wir die Wertschätzung von Leben in seiner Verschiedenheit, die "Anerkennung von Differenz" (Graumann 2006) gesellschaftlich verankern können und der Stimmung entgegentreten, dass die Geburt eines behinderten Kindes vermeidbar ist und vermieden werden sollte.

Als Frauenärztin, die täglich schwangere Frauen berät, erlebe ich, welcher Druck auf ihnen und auch auf vielen Frauenärzten/-innen lastet, weil sie individuell etwas lösen sollen, das öffentlich verdrängt wird.
Es darf nicht länger sein, dass durch Pränataldiagnostik immer mehr Licht in die kindliche Entwicklung gebracht wird, die möglichen Folgen der Erkenntnis aber gesellschaftlich verschleiert und tabuisiert werden.


Literatur:
BZgA (2006): Schwangerschaftserleben und Pränataldiagnostik. Repräsentative Befragung Schwangerer zur Pränataldiagnostik. Köln

Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (2003): Schwangerschaftsabbruch nach Pränataldiagnostik. Positionspapier. München

Friedrich, Hannes (1998): Eine unmögliche Entscheidung. Berlin: Verlag für Wissenschaft und Bildung

Graumann, Sigrid (2006): Pränataldiagnostik - zwischen persönlicher Betroffenheit und politischer Dimension. In: Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik 19, 2006

Rohde, Anke / Woopen, Christiane (2007): Psychosoziale Beratung im Kontext von Pränataldiagnostik. Köln: Deutscher Ärzte Verlag

Riedel, Ulrike (2003): "Kind als Schaden". Frankfurt am Main: Mabuse-Verlag

Soubiuex,Marie-José (2005): Impact psychologique du diagnostic anténatal de nuque épaisse sur le vécu de la grossesse et les relations précoces parents-enfant. In: J Gynecol Obstet Biol Reprod / Volume 34. Paris:Masson, 2005

Letzte Aktualisierung dieser Seite: 17.10.2007