Zuzahlungen im Gynäkologischen Bereich - Wem nutzt es?

Artikel aus clio 59/Oktober 2004 - überarbeitet Oktober 2011
Claudia Schumann

 

Seit einigen Jahren werden in gynäkologischen Praxen IGeL angeboten, eine Abkürzung für Individuelle Gesundheitsleistungen. Sie müssen von den Frauen selbst bezahlt werden und versprechen mehr Sicherheit.
Im Folgenden werde ich versuchen zu erklären, was der Motor von IGeL ist und wie die wichtigsten der sehr unterschiedlichen Angebote einzuschätzen sind. Mein Ziel ist es, Frauen in ihrer Einschätzung zu unterstützen, ob diese Angebote für sie sinnvoll sind. Dabei stütze ich mich auf unsere Diskussionen in der AG Frauenärztinnen im AKF (Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V.). Und auf das Resultat: Den Flyer "Aus eigener Tasche", in dem die wichtigsten Informationen zu den Wahlleistungen in der gynäkologischen Praxis zusammengestellt sind.

 

Warum IGeL?

Das Thema IGeL und Zuzahlungen ist brisant. In ihm verbirgt sich eine Mixtur von medizinischer Argumentation und finanzieller Kalkulation. IGeL sind entdeckt worden, weil tatsächlich die Spielräume kleiner geworden sind ärztliche Leistungen über die Kasse abzurechnen - aber auch um neue Einnahmequellen für ärztliche Praxen zu erschließen. Und es ist sehr schwer, jeweils im Einzelfall abzuwägen, ob die Untersuchung wirklich sinnvoll ist und der Gesundheit der Frau dient - oder eben doch überwiegend dem ärztlichen Geldbeutel. Die Abgrenzung zu Leistungen, die die gesetzliche Krankenkasse übernimmt, ist ebenfalls kompliziert: Ärzte dürfen zu Lasten der Kasse nur das machen, was "ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich" ist. Im SGBV (Sozialgesetzbuch V, §12) ist festgelegt: "Leistungen dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten." IGel werden definiert als "medizinisch sinnvoll, aber nicht notwendig" - ein feiner kleiner Unterschied.
Was bei uns als "medizinisch notwendig" gilt, wird durch ein Gremium festgelegt, zusammengesetzt aus Vertretern der Ärzteschaft und der Krankenkassen. Beispiel Schwangerschaft: Eine Blutuntersuchung auf Toxoplasmose ist bei uns keine Leistung der Mutterschaftsvorsorge - im Nachbarland Österreich aber durchaus. Entsprechend ist es bei uns eine IGeL - in Österreich eine Kassenleistung. D.h. was medizinisch notwendig ist, ist oft nicht eindeutig, sondern kann kontrovers diskutiert und definiert werden. Und Ähnliches gilt für die Bewertung, ob etwas "medizinisch sinnvoll" ist.

 

Grundlagen und Probleme der Bewertung

Eine Chance der objektiven Bewertung bietet die EbM, die Evidence based Medicine. Damit ist eine Medizin gemeint, die auf (aus Studien gewonnenen und nachprüfbaren) Beweisen basiert. Die EbM hat genaue Kriterien erarbeitet, wann eine Studie verlässliche Ergebnisse erwarten lässt. So lässt sich beurteilen, ob z.B. eine Früherkennungsuntersuchung - wie die Mammographie - tatsächlich einen Vorteil bietet, also konkret die Sterblichkeit an einer Erkrankung senkt. Allerdings muss dann immer das allgemeine Wissen auf die individuelle Situation übersetzt werden, d.h. die Einzelne muss abschätzen können, ob sie von einer Untersuchung meint profitieren zu können. Angewendet auf die Mammographie: Auch wenn die Senkung der Sterblichkeit mit Blick auf die Gesamtheit der Untersuchten vielleicht wirklich nur minimal ist - keiner kann der Frau sagen, ob sie die eine ist, die davon profitiert! Dazu kommt, dass zusätzliche Untersuchungen nicht nur mehr Sicherheit bieten können - sie können auch verunsichern, wenn z.B. Veränderungen entdeckt werden, die weitere Kontrollen nach sich ziehen, obwohl sie letztlich sich als harmlos herausstellen.
Ein Großteil der IGeL sind Untersuchungen zur Früherkennung, d.h. sog. Screening-Untersuchungen. Sie werden bei beschwerdefreien Menschen durchgeführt. Ziel ist es, eine Krankheit so früh zu erkennen, dass durch eine frühzeitige Behandlung die Erkrankung gelindert oder sogar verhindert werden kann. Für den Einsatz von Screening-Untersuchungen gelten besonders strenge Kriterien: Ihr Nutzen muß eindeutig erwiesen sein, nur dann sollten sie eingesetzt werden. Folgende Fragen müssen u.a. an ein Screening-Programm gestellt werden: Gibt es eine effektive Intervention im Falle der Früherkennung? Führt diese Intervention zu einem besseren Versorgungsergebnis?
Das alles hört sich nicht nur kompliziert an - es ist auch kompliziert.
In diesem Sinn ist die folgende Bewertung der Zusatzleistungen in der Gynäkologie als Versuch zu sehen, den aktuellen Wissenstand so darzustellen, dass Frauen sich entscheiden können, ob sie sich ein Angebot "leisten" wollen. Denn IGel kosten z.T. viel Geld!
Die Kosten werden auf der Grundlage der GOÄ (Gebührenordnung für Ärzte) errechnet und dann mit einem (je nach Praxis/Labor unterschiedlichen) Steigerungsfaktor multipliziert. Die aktuell üblichen Summen werden  bei jeder Untersuchung angegeben.


Die Untersuchungen im Einzelnen

Krebsvorsorge "plus" durch Ultraschall
Die Krebsfrüherkennungsuntersuchung beinhaltet für alle Frauen ab 20 Jahren das Abtasten der Gebärmutter und der Eierstöcke und den Zellabstrich vom Muttermund. Ab 30 gehört das Abtasten der Brust dazu, ab 45 die Enddarmaustastung, ab 50 der Stuhltest und ab 55 das Angebot der Darmspiegelung.
Als IGeL wird  der "Ultraschall des Unterleibs" ( d.h. von Gebärmutter und Eierstöcken) angeboten, "um nicht nur zu fühlen sondern auch zu sehen." Allerdings ist bisher durch keine Studie der Beweis erbracht, dass dadurch die Sterblichkeit an Gebärmutter- oder Eierstockskrebs gesenkt werden konnte.
Im Einzelfall kann eine Frau davon profitieren. Bei Beschwerden oder einem auffälligen Tastbefund zahlt die Kasse die Untersuchung.
Beurteilung: Es gibt keine Evidenz, dass eine routinemäßige Ultraschalluntersuchung zusätzlich zum Abtasten sinnvoll ist.
Kosten: ca. 30.- 80.-

Ultraschall-Kontrolle der Spirale
Leistungen zur Verhütung werden von der Kasse nicht übernommen - weder die Pille noch das Einlegen der Spirale, nur die entsprechende Beratung und die regelmäßige Tastuntersuchung. Ob eine Spirale tatsächlich "richtig" in der Gebärmutter liegt, lässt sich nur durch Ultraschall herausfinden. Die erste Kontrolle nach dem Einlegen ist eine Kassenleistung, alle weiteren nicht.
Bewertung: Sinnvoll ca. alle 6-12 Monate
Kosten: ca. 20.- bis 30.-€

HPV-Abstrich
Der normale Zellabstrich ("Pap-Abstrich") wird gefärbt und auf Auffälligkeiten untersucht. Allerdings ist er fehleranfällig, Krebszellen können unentdeckt bleiben. Der HPV-Abstrich wird als Zusatz angeboten, da bekannt ist, dass der Gebärmutterhalskrebs durch eine Virusinfektion ( durch Human Papilloma Viren vor allem der Gruppe 16 und 18) verursacht wird. Die Experten streiten sich derzeit noch, ob das sinnvoll ist. Die Argumente: Bei Frauen zwischen 20 und 30 findet sich das Virus sehr häufig ( in 30 bis zu 50%!), die Infektion heilt meist folgenlos aus. Und auch später entwickelt sich nur im Ausnahmefall (2-3%) aus der Infektion tatsächlich eine Krebserkrankung. So würden durch den Abstrich Frauen in Angst versetzt - ohne dass man etwas machen kann als abzuwarten. Denn gegen das Virus gibt es keine Behandlung. Andrerseits ist nahezu sicher, dass eine Frau ohne HPV-Infektion kein Risiko hat für einen Gebärmutterhalskrebs - diese Frauen könnten sicherer sein als nur mit dem Pap-Abstrich. Ob tatsächlich durch eine Kombination von Pap- und HPV-Abstrich die Sterblichkeit des Gebärmutterhalskrebes gesenkt werden kann, ist noch nicht in Studien bewiesen, aber denkbar. Derzeit wird der HPV-Abstrich von den Kassen nur übernommen bei einem auffälligen Pap-Abstrich, um abzuschätzen, ob ein erhöhtes Risiko besteht für eine Krebsentstehung.
Beurteilung: Es gibt derzeit noch keine Evidenz, dass der HPV-Abstrich sinnvoll ist mit Blick auf die Reduktion von Gebärmutterhalskrebs. Wenn überhaupt ist er jedenfalls für Frauen erst ab ca. 30 Jahren sinnvoll.
Kosten: ca. 50.- 60.-€  (incl. Abstrich + ärztl.Beratung)

Dünnschicht-Zytologie
Das ist eine Spezial-Methode, um die vom Gebärmutterhals abgenommen Zellen besser sichtbar zu machen für die Beurteilung im Labor. Ob die Methode dadurch tatsächlich sicherer wird und seltener eine Krebserkrankung übersehen wird, ist (noch) nicht bewiesen.
Beurteilung: Nutzen fraglich
Kosten: Ca. 50.- bis 70.- € (incl. Abstrich + ärztl.Beratung

Hormonspiegel
In den Wechseljahren produzieren die Eierstöcke weniger Hormone, parallel dazu steigert sich die Produktion der Hormone, die vom Gehirn aus die Eierstöcke antreiben. Frauen merken dass, weil die Blutungen unregelmäßiger werden oder ausbleiben, einige haben zusätzlich typische Symptome wie Hitzewallungen. Die Hormonänderungen lassen sich messen. Das hat aber keinerlei Konsequenz, da die Entscheidung für oder gegen eine Hormonbehandlung und auch für die Dosierung nur vom subjektiven Beschwerdebild abhängt und nicht von der gemessenen Hormonmenge abhängt.
Beurteilung: Nicht sinnvoll
Kosten: ca. 100.-€

Osteoporose-Screening
Osteoporose bezeichnet eine Entkalkung der Knochen, die zu einer höheren Brüchigkeit führen kann und vor allem bei älteren Frauen auftritt. Frauen in den Wechseljahren  werden verschiedene Methoden angeboten um herauszufinden, ob ihnen eine Osteoporose droht:  Spezielle Röntgenuntersuchung, Ultraschall (Fersenbein, Speiche), spezielle Laboruntersuchungen. Damit verbindet sich die Hoffnung, dass bei einer Früherkennung eine Prophylaxe möglich sei. Der Dachverband Osteologie (DVO), in dem sich alle medizinischen Fachgruppen rund um Knochenerkrankungen zusammengeschlossen haben, hat allerdings in einer auf höchster Evidenz-Stufe ausgearbeiteten aktuellen Leitlinie zu diesem Thema klar geurteilt: "Es stehen derzeit keine Techniken oder Instrumente zur Verfügung, die den Anforderungen an einen Screeningtest gerecht werden." Das bedeutet eine negative Bewertung aller derzeitigen Früherkennungsangebote für Osteoporose! Die DVO empfiehlt stattdessen, dass alle Frauen sich "knochengesund" verhalten sollten ( Ernährung, Bewegung). Spezielle Untersuchungen sollten  nach einer individuellen Risikoabschätzung eingesetzt werden, die hier nicht im einzelnen ausgeführt werden kann - und sind dann auch Kassenleistung.
Kosten: Ultraschall 30.- bis 50.-€
Labor: 70.- bis 110.€

Mammographie-Screening
Seit dem 1.1.2004 ist beschlossen, dass ein Mammographie-Screening bundesweit eingeführt wird für alle Frauen zwischen 50 und 69, mit einem 2-jährigen Einladungsrhythmus zur Untersuchung in speziellen Zentren. Bis das umgesetzt wird, und auch für Frauen außerhalb dieser Altersspanne, wird die Mammographie als IGeL angeboten. Über die Kasse darf derzeit Mammographie nur abgerechnet werden bei familiärer Belastung oder bei Verdacht auf Brustkrebs. Die Hoffnung, dass eine Frau durch regelmäßiges Röntgen der Brust die
Gefahr für sich senken kann, an Brustkrebs zu sterben, ist allerdings leider eher gering. Studien haben erwiesen, dass von 1000 Frauen in einem Zeitraum von 10 Jahren 6 an Brustkrebs sterben, wenn sie alle 2 Jahre die Brust röntgen lassen - gegenüber 8 Todesfällen ohne Röntgen. Evtl. können Frauen sogar Schaden erleiden, denn häufig werden Verdachtsfälle mitgeteilt, die sich in weiteren Untersuchungen doch als harmlos erweisen, oder es werden Krebsvorstufen entdeckt, die wahrscheinlich nie lebensbedrohlich geworden wären, die aber die Frau dann als krebskrank definieren, mit allen Folgen. Ob eine Frau regelmäßig zur Mammographie geht, ist - unabhängig von den Kosten - also eine sehr individuelle Entscheidung.
Beurteilung: Nutzen nicht eindeutig, verlangt intensive Beratung und individuelle Entscheidung
Kosten: 60.-bis 90.-€

Brust-Ultraschall:
Ob Ultraschall der Brust sich eignet zur Früherkennung von Brustkrebs, ist nicht ausreichend in Studien untersucht. Einzelne Studien weisen aber darauf hin, dass sehr gute Untersucher mit sehr guten Geräten Brustkrebs frühzeitig erkennen können, gerade bei jungen Frauen mit dichtem Brustgewebe. Präventiv eingesetzt, ist das eine selbst zu bezahlende Wahlleistung.
Wenn Ultraschall eingesetzt wird bei einem auffälligen Tastbefund - z.B. Verdacht auf Zyste - ist das eine Kassenleistung
Bewertung: Nutzen möglich.
Kosten: 30.-bis 50.-€

Haarausfall - Hormonelle Abklärung
Das Haarwachstum hat mit den weiblichen Hormonen zu tun - gut erkennbar bei Phasen der hormonellen Umstellung wie Schwangerschaft und Stillzeit, in denen es zunächst zu dichterem Haarwuchs und dann oft zum Haarausfall kommt. Ebenfalls kann eine Erhöhung der männlichen Hormone (=Androgene) zum Haarausfall führen. Bei mäßigem Haarausfall ist die Laboruntersuchung keine Kassenleistung, da dünnes Haar als kosmetisches Problem und nicht als Erkrankung gewertet wird, die Untersuchung also nicht "notwendig" ist. Dazu kommt, dass eine evtl. Hormon-Behandlung (mit Antiandrogenen) meist nicht sehr effektiv ist, da der Haarausfall von vielen Faktoren abhängt und (gerade in den Wechseljahren) meist genetisch festgelegt ist.
Bewertung: Nutzen sehr fraglich
Kosten: ca. 80.-€

Tumormarker
Eine Blutuntersuchung auf sogenannte "Tumormarker" ist nicht geeignet zur Früherkennung von Krebserkrankungen. Nach einigen Krebserkrankungen ( z.B. Eierstockskrebs) kann die Kontrolle der Marker sinnvoll sein - aber dann ist es eine Kassenleistung.
Bewertung: Als Screeninguntersuchung nicht sinnvoll
Kosten: ca. 110.-€


Wie umgehen mit IGeL?

Wenn Ihnen in einer Praxis eine Zusatzuntersuchung gegen Bezahlung angeboten wird, sollten Sie folgende Fragen klären:
· Warum ist das keine Kassenleistung?
· Was habe ich konkret davon?
· Welche Konsequenzen ergeben sich, falls ein auffälliger Befund erhoben wird?
Wenn Sie unsicher sind - schlagen Sie das Angebot zunächst aus und informieren Sie sich andernorts. Es besteht kein Zeitdruck - Sie sind ja nicht behandlungsbedürftig!
Und für alle Beschwerden und Erkrankungen gilt weiterhin: Die notwendigen Untersuchungen und Behandlungen zahlt die gesetzliche Krankenversicherung in vollem Umfang.

Letzte Aktualisierung dieser Seite: 31.10.2012